Vorurteile im Arbeitsumfeld - Interview mit Virgilia

Virgilia Jansen-Preilowski, systemische Coachin und Psychologin, erzählt uns mehr über ihre Sichtweise zu Vorurteilen im Arbeitsumfeld.

Datum: 5. August 2025

Kategorien: Personality, Personality Assessments, Talent Management, metaMeets

Virgilia Bild

Erzähle uns mehr über Dich und Deinen Arbeitsalltag.

Ich arbeite als freiberufliche Beraterin bei Personality Guidance und metaBeratung und bin seit 11 Jahren in der Beratung tätig. Mein Hintergrund liegt in der Psychologie, mit Spezialisierung auf Arbeits- und Organisationspsychologie. Außerdem habe ich eine Ausbildung als systemische Coachin und Change Managerin. Zuvor arbeitete ich als HR-Spezialistin im Bereich Führungskräfteentwicklung, entschied mich dann aber für den Wechsel in die externe Beratung, die mir sehr viel Spaß macht und die ich mir nicht mehr wegdenken kann. Ich habe Hogan Assessments zum ersten Mal bei einem Projekt kennengelernt, bei dem wir Assessments für Führungskräfte durchgeführt haben. So kam ich auch zur metaBeratung und Personality Guidance. Ich habe mich für Hogan begeistert und es ist nun ein zentraler Bestandteil meiner täglichen Arbeit, sowohl in der Beratung als auch in Auswahl- und Entwicklungsprozessen, insbesondere für Führungskräfte. Ich berate Menschen bei der Karriereplanung und Unternehmen bei der Auswahl der besten Kandidaten. Darüber hinaus führe ich Hogan-Zertifizierungsworkshops durch.

Hast Du schon einmal von Vorurteilen im Arbeitsumfeld gehört?

Ja, ich habe während meines Studiums etwas über Vorurteile gelernt, da sie ein wichtiger Aspekt der Psychologie und Arbeitspsychologie sind. Vorurteile sind meiner Meinung nach Vorurteile oder Werte, die wir verinnerlicht haben und die unsere Entscheidungen oder die Beurteilung von Menschen und Situationen beeinflussen. Sie sind Teil der Art und Weise, wie unser Gehirn Energie spart, indem es automatische Reaktionen erzeugt, anstatt alles bewusst zu bewerten. Jeder Mensch hat unbewusste Vorurteile. Das Ziel ist es, sich seiner eigenen Vorurteile bewusst zu werden. Für Führungskräfte ist dieses Bewusstsein von entscheidender Bedeutung, da Vorurteile die Entscheidungsfindung und die Art und Weise beeinflussen, wie Mitarbeiter beurteilt oder eingestellt werden.

Was sind die häufigsten Vorurteile, die Du im Arbeitsumfeld beobachtest, insbesondere bei der Personalauswahl oder bei Teambewertungen? Kannst Du konkrete Beispiele nennen?

Es gibt viele Vorurteile, aber eines der häufigsten ist der Primacy-Effekt oder das Vorurteil des ersten Eindrucks. Wenn wir beispielsweise jemanden neu kennenlernen, beeinflussen die ersten Sekunden, wie wir diese Person wahrnehmen, und es ist schwierig, diesen ersten Eindruck zu überwinden. Das ist bei der Personalbeschaffung besonders wichtig zu beachten.

Auch der Halo-Effekt ist weit verbreitet, bei dem ein einziges positives Verhalten die Wahrnehmung anderer Verhaltensweisen oder Leistungen beeinflusst. Umgekehrt führt der Horn-Effekt dazu, dass wir eine negative Eigenschaft auf andere Bereiche verallgemeinern. Bei der Personalbeschaffung können beispielsweise Bewerber, die eine Brille tragen, als intelligenter wahrgenommen werden, was dazu führt, dass einige Bewerber sogar eine falsche Brille zum Vorstellungsgespräch tragen. Auf der anderen Seite könnte ein Bewerber in Freizeitkleidung als weniger erfolgreich oder als ungeeignet für die Stelle angesehen werden.

Im Leistungsmanagement gibt es den Recency-Bias, bei dem Führungskräfte sich nur an die jüngsten Leistungen erinnern, anstatt den gesamten Zeitraum zu bewerten (z. B. die letzten Wochen statt eines ganzen Jahres). Regelmäßige Notizen können hier Abhilfe schaffen. Ein weiteres Beispiel ist der Kontrast-Bias, bei dem die Bewertungen einer Person die nächsten beeinflussen können. Führungskräfte können dies vermeiden, indem sie Bewertungen nicht nacheinander, sondern in größeren Abständen durchführen (anstatt sie an einem Tag durchzuführen, sollten sie zeitlich verteilt werden). Kürzlich habe ich eine Schulung zum Thema Verzerrungen im Leistungsmanagement durchgeführt, und eine Führungskraft erkannte, dass die nacheinander durchgeführten Bewertungen ihre Bewertungen beeinflussten. Sie beschloss, zukünftige Beurteilungen anders anzugehen, um den Kontrasteffekt zu vermeiden (Vermeidung von Leistungsbeurteilungen an nur einem Tag).

Eine weitere häufige Verzerrung ist die Ähnlichkeitsverzerrung – Führungskräfte bewerten Mitarbeiter möglicherweise günstiger, wenn sie ähnliche Werte oder Eigenschaften haben, während diejenigen, die als anders wahrgenommen werden, möglicherweise schlechtere Bewertungen erhalten. Während des Coachings bitte ich Führungskräfte oft, darüber nachzudenken, ob ihre Urteile auf der Leistung oder einfach auf persönlicher Sympathie beruhen.

Wie gehst Du persönlich vor, um Verzerrungen bei der Arbeit mit Kunden zu erkennen und zu mindern? Gibt es Techniken oder Hinweise, auf die Du Dich verlässt?

Ich habe wie jeder andere auch Vorurteile, und ein Teil meiner Entwicklung mit Hogan Assessments bestand darin, diese zu erkennen. Als ich zum ersten Mal ein Hogan-Assessment absolvierte, stellte ich fest, dass ich einen hohen Wert im Bereich Hedonismus habe, was bedeutet, dass ich großen Wert darauf lege, Spaß an meiner Arbeit zu haben. Ich erkannte, dass dies zu einer Bestätigungsverzerrung führte; ich neigte dazu, Kunden zu raten, sich einen Job zu suchen, den sie lieben, da ich davon ausging, dass dies für alle wichtig sei. Aber nicht jeder sieht das so – viele legen mehr Wert auf Arbeitsplatzsicherheit oder finanzielle Stabilität als auf Leidenschaft. Um dies im Auge zu behalten, schaue ich mir mein Hogan-Profil an, um mich an meine Vorurteile zu erinnern. Vor Auswahlverfahren schaue ich mir auch die Stellenbeschreibung und die Unternehmenskultur an, um ein objektives Idealprofil zu erstellen, wobei ich meine eigenen Werte bewusst ausklammere lasse, um Ähnlichkeitsverzerrungen oder andere Vorurteile zu vermeiden.

Wie beeinflussen unterschiedliche kulturelle Hintergründe die Art der Vorurteile, die Menschen in ihr Arbeitsumfeld mitbringen? Kannst Du ein Beispiel nennen?

Der kulturelle Hintergrund hat einen starken Einfluss auf Vorurteile, insbesondere in multikulturellen Teams. Ich habe beispielsweise mit einem asiatischen Kunden mit Sitz in Deutschland zusammengearbeitet, wo sich die Führungsstile oft unterscheiden. In westlichen Ländern beziehen Führungskräfte ihre Mitarbeiter zunehmend in Entscheidungsprozesse mit ein. Führungskräfte aus Kulturen mit hoher Machtdistanz, wie beispielsweise einigen asiatischen Ländern, betrachten jedoch eine starke hierarchische Kontrolle möglicherweise als wesentliches Merkmal guter Führung, was bei der Zusammenarbeit mit deutschen Teams zu einem Kulturkonflikt führen kann.

Um diese Lücken zu überbrücken, stelle ich oft das Hofstede-Modell vor, das dabei hilft, kulturelle Unterschiede hervorzuheben und zu erklären, dass effektive Führung je nach kulturellem Hintergrund, Persönlichkeit, Fähigkeiten und Kontext variiert.

Hast Du in Zeiten von Remote-Arbeit und virtuellen Teams neue Vorurteile festgestellt? Wie unterscheiden sich diese von Vorurteilen in einer traditionellen Büroumgebung?

Bei der Remote-Arbeit ist das Präsenzvorurteil deutlicher geworden. Mitarbeiter, die besser sichtbar sind, weil sie im Büro sind oder spät E-Mails verschicken, werden möglicherweise als fleißiger oder leistungsfähiger wahrgenommen. Diejenigen, die remote arbeiten, aber fleißig sind, erhalten aufgrund ihrer geringeren Sichtbarkeit möglicherweise schlechtere Bewertungen.

Studien zeigen jedoch, dass längere Arbeitszeiten nicht gleichbedeutend mit höherer Leistung sind. Ich promoviere derzeit und beobachte dieses Muster: Weniger Arbeitszeit bedeutet nicht unbedingt geringere Leistung – in manchen Fällen ist sogar das Gegenteil der Fall.

Das Interview wurde von Constance Tournier, Personality Guidance AG, geführt und ins Deutsche übersetzt.

Passende Insights